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Von Gott und Physik

„Die Physik ist die Kerndisziplin aller Naturwissenschaften, und Religion ist die Beziehung des Menschen zum Transzendenten“, so begann Michael Grün, Physiker, seinen Vortrag vor dem Begabtenkreis.
In der klassischen Physik ab dem 16. Jahrhundert habe Gott keinen Platz mehr bei der Erforschung der Natur gehabt. Mit der Relativitätstheorie von Albert Einstein, dem Beginn der Quantenphysik von Max Planck und der Urknalltheorie des Theologen und Physikers Georges Lemaître im Jahr 1931 habe Gott wieder Beachtung in der Physik erlangt.
Im Einzelnen erklärte der Gast, Bruder des bekannten Benediktinerpaters Anselm Grün:
Ein Umdenken fand bereits im Rahmen der Relativitätstheorien statt. Die klassische Physik hatte einen anderen Zeitbegriff als die moderne. Sie behauptete, dass die Zeit von sich aus fließt – gleichförmig, ohne Rücksicht auf äußere Dinge. Die moderne Relativitätstheorie lehrt genau das Gegenteil – nämlich, dass die Zeit keine konstante Größe ist. Diese Relativität der Zeit hat Konsequenzen für ein mögliches Gottesverständnis: Wenn Gott ein reines Geistwesen ist – nicht gebunden an Materie –, wird für ihn die Zeit ganz anders verlaufen als für uns: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind für ihn eins. Deshalb ist für Gott ein Vorherwissen möglich, ohne die Entscheidungsfreiheit des Menschen zu beeinflussen.
Zur Quantenphysik, die den Zusammenhang allen Seins beschreibt, zitierte Grün den Quantenphysiker Hans-Peter Dürr: „Der individuelle Mensch ist mit dem ganzen Kosmos verbunden.“ Das bedeutet: Menschen können sich im Kosmos nicht als isolierte Wesen verstehen, denn sie haben immer schon teil an der gesamten Materie, an der ganzen Welt. Was an einem Ort geschieht, hat Auswirkungen auf die ganze übrige Welt. „Diese Vorstellungen teilten immer schon Religionen. So kann auch mein Gebet, durch das ich mich selbst ändere – physikalisch betrachtet, indem sich meine Wellenfunktion ändert –, auf andere Menschen wirken“, machte Grün den Schülern eindrücklich deutlich.
Am Ende des Vortrags stand fest:
Die moderne Physik hat die Jahrhunderte währende Gegnerschaft zwischen Religion und Physik beseitigt. Sie ist überzeugt von der Existenz von Transzendentem. Sie lehrt Demut, lässt erahnen oder auch zur Gewissheit werden, dass hinter der Welt etwas ganz Großartiges stecken muss, das die meisten Gott nennen. Werner Heisenberg, einer der genialsten Physiker des 20. Jahrhunderts, formulierte sehr anschaulich: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, doch auf dem Boden des Bechers erscheint dann Gott.“
Text und Foto: Annette Wörmann