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‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ auf außergewöhnlicher Bühne

Die Enge des Raumes ist bedrückend: Von Sanierungsarbeiten aus der heimischen Aula vertrieben, bespielte das Schyren-Theater am Wochenende eine ungewöhnliche Bühne, nämlich die Tiefgarage des Hotels ‚Moosburger Hof‘. Der Spielort könnte nicht besser gewählt sein für ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ in der Bühnenfassung von Frances Goodrich und Albert Hackett, überarbeitet von Wendy Kesselmann: Das hervorragende, ungemein suggestive Bühnenbild wirkte, als hätten sich da tatsächlich ein paar Geflohene mit behelfsmäßig eingezogenen Wänden im Winkel ein Versteck zurechtgezimmert.

Der Schullektüre-Klassiker hat nichts von seiner erschütternden Unmittelbarkeit verloren, sondern angesichts beunruhigender gesellschaftlicher Entwicklungen sogar wieder an Aktualität gewonnen: Zwei jüdische Familien leben monatelang auf engstem Raum, im ‚geheimen Hinterhaus‘, zusammen, um der Deportation zu entgehen. Dabei ist Anne Franks Text durch die erzwungene Beschränkung auf einen einzigen, beengten Handlungsort wie fürs Theater gemacht.

Tagsüber müssen die Schicksalsgenossen völlige Stille bewahren, zwangsläufig entwickeln sich Reibereien, schon wegen Kleinigkeiten, und bald liegen die Nerven aller blank. Die entwaffnende Offenheit der Dreizehnjährigen Titelheldin – hervorragend gespielt von Miriam Blum – bringt die Mitgefangenen in Verlegenheit und geht ihnen auf die Nerven. Das karge Essen schmeckt nicht, und Familie van Daan kann nicht verheimlichen, dass es in der Ehe knirscht.

Einen explosiven Höhepunkt erreicht die Inszenierung, als der sich sonst als jovialer Genussmensch gebärdende Herr van Daan (Jonathan Brock) aus Geldnot den Pelzmantel seiner Frau weggibt; einen zweiten, als sein Diebstahl von Brot Verteilungsängste auslöst und deutlich wird, dass die acht Eingeschlossenen einander nicht mehr vertrauen können. Mehr als einmal muss Vater Otto Frank (Benedikt Poferl) ein lebensgefährliches Zerwürfnis abwenden.

Unter solch widrigen Umständen keimt aber auch die zarte Liebe Annes zum drei Jahre älteren Peter (Marlena Wanoschek). Und da sich trotz allem die ganze Fülle des Lebens in dem Verlies widerspiegelt, gibt es auch heitere Momente – und sogar Gelegenheit für Slapstick, als das Werkzeug von Zahnarzt Dussel (Ronja Wimmer) im hohlen Zahn der Frau van Daan (Julia Dierl) stecken bleibt.

So wird die von Richard Fischer geleitete hervorragende Inszenierung in den Annalen des traditionsreichen Schyren-Theaters wegen des ungewöhnlichen Spielortes etwas Besonderes bleiben. Mit über 150 Premierenbesuchern am Freitagabend erhielt sie den ihr gebührenden Zuspruch, eine zweite Aufführung fand tags darauf statt.

Das Bild zeigt Anne Frank (Miriam Blum, Mitte) umgeben von Mitbewohnern des ‚geheimen Hinterhauses‘ (Sahra´a Abdullah, Marlena Wanoschek, Benedikt Poferl, Julia Dierl, Ronja Wimmer, von links nach rechts) bei der Premiere des Schyren-Theaters am Freitagabend

Text und Foto: Roland Scheerer