Auf der Bühne unseres Schyren-Theaters: Drei ebenso aufmerksame wie hochanständige Damen machen sich auf, ein mutmaßliches Verbrechen bei der Polizei anzeigen. Die Beschuldigte wird vorgeladen und weiß von nichts. Der Fall wird immer mysteriöser, die Gerüchte nehmen überhand. Ist die örtliche Dienststelle überfordert, und welche Rolle spielt ein geheimnisvoller Aktentaschenträger? Die Lösung bringt ein Schattenspiel.
Die Kriminalkomödie ‚Mord ohne Leiche‘ von Margret Völke und Rudolf Guder hatte am Donnerstag, den 14. März, Premiere. Sie wird von der jüngsten Truppe des Schyren-Theaters mit vollem Einsatz auf die Bühne gebracht. Es ist eine wahre Freude, wie ernst die Unterstufenschülerinnen ihre Rollen nehmen: Besonders ausdrucksstark spielen Sinah Wiringer als Frau Konsul Kleinschmidt, Annika Hofbauer als die beschuldigte Frau Miller und Frida Habermann als Polizei-Sekretärin – aber letztlich sind es alle fünfzehn Schauspielerinnen, die dank der Regiearbeit von Ruth Knoll auf der Bühne ganz wunderbar miteinander harmonieren. Dass krankheitsbedingt in letzter Minute Umbesetzungen vorgenommen werden mussten, bekamen die Zuschauer gar nicht mit.
Das Stück beginnt mit einer herrlichen Szene, in der drei feine und fantasiebegabte Damen ihren düstersten Ahnungen über einen vermeintlichen Mord und dessen Täterin freien Lauf lassen (Malou Haupt, Emma Mindermann, Clara Ziskins). Dieser gefährliche Kaffeeklatsch ist mit solcher Hingabe gespielt, dass man sich davor fürchtet, die Darstellerinnen könnten später und im richtigen Leben jemals auf die Idee kommen, gemeinsam jemanden zu verdächtigen. Man möchte nicht in dessen Haut stecken.
Das kurzweilige Stück spricht Miss-Marple- und Sherlock-Holmes-Freunde jeden Alters an. Eine weitere – und letzte – Aufführung findet am Mittwoch, den 20. März, in der Aula des Schyren-Gymnasiums statt. Die Vorstellung beginnt um 19 Uhr, der Eintritt ist frei.
Das Szenenfoto zeigt die drei Damen (Clara Ziskins, Emma Mindermann, Malou Haupt) auf der Polizeidienststelle, im Gespräch mit den Ermittlern (Ida Arenz, Antonia Reim).
Text: Roland Scheerer
Foto: Roland Scheerer
Drei Männer im Boot, keine Vorräte. Einer von ihnen muss aufgegessen werden, so weit klar. Bloß wer? Das Schyren-Theater unter der Leitung von Richard Fischer hat dieses Stück auf die Bühne gebracht. Es stammt aus der Feder des polnischen Autors Sławomir Mrożek und ist zugleich ein politisches Gleichnis: Wie wählen, und wie viel soziale Benachteiligung muss jemand geltend machen, um aus Mitleid verschont zu werden? So entsteht eine absurde Rangordnung des Nachteilsausgleichs – ganz zu schweigen davon, dass auf dem Wasser auch drei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Josua Kock, Elena Rimatzki und Vincent Müller spielen diese Szene eindringlich und gekonnt.
Nach der Pause ist eine zweite Szene desselben Autors zu sehen: Zwei Personen bekommen es mit einer geheimnisvollen, finsteren Macht zu tun. Sie geraten in Gefangenschaft. Sie sind frei, die Zelle zu verlassen – unter der Bedingung, dass sie von dieser Freiheit keinen Gebrauch machen. Es entspinnt sich eine Kontroverse darüber, wie man sich in solcher Situation richtig verhält: Die innere, „geistige Freiheit“ bewahren, sich fügen, wodurch auch das Regime milde gestimmt werden könnte? Doch wo ist die Grenze zu Kollaboration überschritten? Muss man sich dem Unrecht nicht vielmehr offen widersetzen (auf die Gefahr hin, alles nur schlimmer zu machen)? Leider: solange die Opfer über die richtige Linie streiten, hat die Macht um so leichteres Spiel. Es dauert lange, bis dem Zuschauer dämmert, worum es geht; am Ende aber sind es dann die Bühnengestalten (Elias Hehme und Reinold Lifke), die buchstäblich im Dunkeln tappen. Beide Darsteller agieren souverän und ausdrucksstark – insgesamt eine hervorragende Inszenierung des Schultheaters.
Interessant ist, dass beide Stücke eigentlich auf die sozialistische Diktatur gemünzt sind – aber auch in der Gegenwart genug Aussagekraft entfalten, da die behandelten Fragen allgemein-philosophische Dimension haben. Die Theatergruppe bedient sich eines bewusst schlichten, aber wirkungsvollen Bühnebildes. Erfreulich, dass in Nebenrollen auch zwei ukrainische Schülerinnen mitwirken!
Das Bild zeigt Josua Kock, Vincent Müller und Elena Rimatzki als hungrige Bootsinsassen in „Auf hoher See“.
Text: Roland Scheerer
Foto: Roland Scheerer
Zum Stück: Wer Abitur gemacht hat, erinnert sich – Iphigenie auf Tauris, Hüterin im heiligen Hain, Verkörperung einer schönen Seele. Die Frau, die dem Patriarchen die Grenzen aufzeigt mit Respekt und Peace statt Macht und Fies, mit Klartext-Ansage statt Draufhauen, Botschafterin für die globale Ächtung all dessen, was du nicht willst, das man dir tu.
Wegen der Sperrigkeit des Originaltextes von Goethe existiert eine kindgerechte Spaßfassung des zeitlosen Stoffes: Helga Ehams Komödie ‚Die Tantaliden, Iphigenie und ich‘. Auf den Brettern: sechzehn Akteure aus der Unter- und Mittelstufe. Die Leitung hatte Ruth Knoll.
Da bekamen die notorische ‚Gutfrau‘ Iphigenie (Fiona Fierenkothen) und der im Herzen ebenfalls anständige Tyrann Thoas (Erla Ögmundsdóttir) endlich mal Züge normaler Menschen: Der Menschenopfer-Befürworter hat ein Style-Problem, sie hat ein Ouzo-Problem.
Die Schultheater-Inszenierung hat einige Highlights, die das Publikum zum Lachen brachten: der grausige Familienfluch der Tantaliden in pantomimischem Slapstick-Zeitraffer, die Privatpatientensprechstunde beim Delphischen Orakel (Alexandra Kulczar) oder die auf der Bühne herumstolpernde, transportfertig verpackte, geklaute und dann vergessene Göttin Diana (Marlene Thomas). Dsbei geht es auch darum, dass das Theater über sich selber lacht, und das ist dem Schyren-Theater am Mittwochabend gelungen.
Das Bild zeigt, wie der von seiner Bluttat befleckte Königsspross Orest (Lara Sabbatino, Mitte) und dessen Gefährte Pylades (Elias Hehme, links) mit Priesterin Iphigenie (Fiona Fierenkothen) die gemeinsame Flucht von der Menschenopfer-Insel Tauris planen.
Text: Roland Scheerer
Foto: Roland Scheerer
Die Enge des Raumes ist bedrückend: Von Sanierungsarbeiten aus der heimischen Aula vertrieben, bespielte das Schyren-Theater am Wochenende eine ungewöhnliche Bühne, nämlich die Tiefgarage des Hotels ‚Moosburger Hof‘. Der Spielort könnte nicht besser gewählt sein für ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ in der Bühnenfassung von Frances Goodrich und Albert Hackett, überarbeitet von Wendy Kesselmann: Das hervorragende, ungemein suggestive Bühnenbild wirkte, als hätten sich da tatsächlich ein paar Geflohene mit behelfsmäßig eingezogenen Wänden im Winkel ein Versteck zurechtgezimmert.
Der Schullektüre-Klassiker hat nichts von seiner erschütternden Unmittelbarkeit verloren, sondern angesichts beunruhigender gesellschaftlicher Entwicklungen sogar wieder an Aktualität gewonnen: Zwei jüdische Familien leben monatelang auf engstem Raum, im ‚geheimen Hinterhaus‘, zusammen, um der Deportation zu entgehen. Dabei ist Anne Franks Text durch die erzwungene Beschränkung auf einen einzigen, beengten Handlungsort wie fürs Theater gemacht.
Tagsüber müssen die Schicksalsgenossen völlige Stille bewahren, zwangsläufig entwickeln sich Reibereien, schon wegen Kleinigkeiten, und bald liegen die Nerven aller blank. Die entwaffnende Offenheit der Dreizehnjährigen Titelheldin – hervorragend gespielt von Miriam Blum – bringt die Mitgefangenen in Verlegenheit und geht ihnen auf die Nerven. Das karge Essen schmeckt nicht, und Familie van Daan kann nicht verheimlichen, dass es in der Ehe knirscht.
Einen explosiven Höhepunkt erreicht die Inszenierung, als der sich sonst als jovialer Genussmensch gebärdende Herr van Daan (Jonathan Brock) aus Geldnot den Pelzmantel seiner Frau weggibt; einen zweiten, als sein Diebstahl von Brot Verteilungsängste auslöst und deutlich wird, dass die acht Eingeschlossenen einander nicht mehr vertrauen können. Mehr als einmal muss Vater Otto Frank (Benedikt Poferl) ein lebensgefährliches Zerwürfnis abwenden.
Unter solch widrigen Umständen keimt aber auch die zarte Liebe Annes zum drei Jahre älteren Peter (Marlena Wanoschek). Und da sich trotz allem die ganze Fülle des Lebens in dem Verlies widerspiegelt, gibt es auch heitere Momente – und sogar Gelegenheit für Slapstick, als das Werkzeug von Zahnarzt Dussel (Ronja Wimmer) im hohlen Zahn der Frau van Daan (Julia Dierl) stecken bleibt.
So wird die von Richard Fischer geleitete hervorragende Inszenierung in den Annalen des traditionsreichen Schyren-Theaters wegen des ungewöhnlichen Spielortes etwas Besonderes bleiben. Mit über 150 Premierenbesuchern am Freitagabend erhielt sie den ihr gebührenden Zuspruch, eine zweite Aufführung fand tags darauf statt.
Das Bild zeigt Anne Frank (Miriam Blum, Mitte) umgeben von Mitbewohnern des ‚geheimen Hinterhauses‘ (Sahra´a Abdullah, Marlena Wanoschek, Benedikt Poferl, Julia Dierl, Ronja Wimmer, von links nach rechts) bei
der Premiere des Schyren-Theaters am Freitagabend.
Text und Foto: Roland Scheerer
Das Land soll denen gegeben werden, die es fruchtbar machen, nicht jenen, die sich auf überkommene Privilegien berufen – so die Moral aus Bertolt Brechts Lehrstück ‚Der kaukasische Kreidekreis‘, das am 28.03.2019 seine gut besuchte Premiere am Schyren-Gymnasium feierte und anderntags noch einmal aufgeführt wurde. Die Leitung hatte Richard Fischer.
Man kann kaum zählen, auf wie vielen Ebenen sich alles abspielt: Da mimen Schüler sich als Schüler, die ein Stück spielen, in dem sozialistische Werktätige ein Stück spielen, in dem es darum geht, wer für ein Kind sorgen soll – die biologische Mutter, die es im Stich gelassen hat, oder dessen Retterin? -, und innerhalb dessen wiederum Kinder dasselbe Stück, in dem sie vorkommen, nachspielen. All das, so will es Brecht, läuft auf die Zerstörung von Illusion hinaus: Sei dir bewusst, was du hier siehst, ist nur Theater und Theater im Theater, lass dich nicht einwickeln, bleibe kritisch. Um das Publikum entsprechend zu fordern, setzt der Meister auf Verfremdungseffekte – ein gefundenes Fressen für das Schultheater, dem es naturgemäß an illusionistischen Mitteln mangelt, woraus man bei Brecht keinen Hehl zu machen braucht; ganz im Gegenteil, die Verfremdung wird genüsslich zelebriert: Es gibt eine bunte Parade dämlicher Kopfbedeckungen; da werden ungeniert erklärende Texttafeln vorbeigetragen, und eine Hütte auf Beinen nähert sich der fliehenden Grusche Vachnadze (Melissa Mehmedovic), womit Bewegung im Raum erfahrbar wird. Bühnenarbeiter, die währenddessen an den Kulissen malen, gehören ebenso dazu wie derSouffleur, der als Dramaturg und Harlekin das Spiel anleitet und erläutert (Jonas Brinkmann). Ob es noch als Brechtscher Verfremdungseffekt durchgeht, wenn die Darsteller beim Bühnenauftritt ihr Smartphone nicht aus der Hosentasche nehmen, sei dahingestellt.
Stellvertretend für die vielen darstellerischen Einzelleistungen seien genannt: Josef Henn als brüllende Witzfigur von einem Unteroffizier, Eva Klostermair als Bäuerin, Hüsseyin Yilmaz als badendem Jussup in seiner türkisen Blechtonne – und natürlich Andreas Hagl als Richter Azdak.
Besonders beeindruckend ist, welche Bühnenpräsenz einige der jüngsten Ensemblemitglieder schon entfalten: Maja Kunz als Wirt oder Emil Schmidt als Mönch. Es ist Richard Fischer gelungen, den Nachwuchs aus der Unterstufe voll einzubinden und damit an der Zukunft der Truppe zu bauen.
Ein bisschen nervig ist die Überdrehtheit im Spiel vieler Darsteller schon. Ist aber gewollt und muss so sein. Episches Theater muss nerven, sonst wäre es keines. Bloß nicht gemütlich zurücklehnen! Eine zweieinhalbstündige Aufführung mit über fünfzig Mitwirkenden – eine beachtliche Leistung, die Fischer und seiner Truppe da in aufwändiger Probenarbeit bewerkstelligt haben. Es ist ihnen hoch anzurechnen, dass sie den etwas aus der Mode gekommenen Brecht entstaubt haben, nicht zurückscheuen vor einem politischen Diskurs, der weit über den Kontext realsozialistischer Ökonomie hinausreicht. Sie haben ganz genau erkannt, welche Steilvorlagen Brecht gerade dem Schultheater liefert.
Auf dem Bild ist der Triumph der Gerechtigkeit zu sehen: Grusche Vachnadze (Melissa Mehmedovic) beweist durch Loslassen die Liebe zum Kind (Finn Kohlmann), das Natella Abaschwili (Valeria Krammer) an sich reißt. Im Hintergrund Heinz Böhm, Annabelle Schock und Andreas Hagl (von links nach rechts).
Text und Foto: Roland Scheerer
Eine offene und tolerante Gesellschaft wollen wir sein. Sind wir aber nicht: Vampire haben mit bösartigen Vorurteilen zu kämpfen. Das Kultusministerium hat nun einen Schulversuch beschlossen, nach dem Menschen und Untote erstmals gemeinsam unterrichtet werden – zumindest in dem wunderbar bissigen Stück „Bitte nicht beißen!“ von Kathrin Wiegand, das am Mittwochabend am Schyren-Gymnasium Premiere hatte.
Das Inklusionskonzept stößt aber bei vielen auf Skepsis. Zum Beispiel werden von den Vertretern der Mehrheits- oder Leitkultur überall Kruzifixe aufgehängt, um der Randgruppe zu zeigen, wo ihr Platz ist; Parallelen zur Tagespolitik sind natürlich rein zufällig. Wenn im Klassenzimmer nach Herzenslust abgestandene Klischees über die blutsaugenden Zeitgenossen ausgebreitet werden, nimmt es nicht Wunder, dass auch diese nur bedingte Integrationsbereitschaft an den Tag legen. Und natürlich passiert, was nicht passieren darf: eine Gewalttat. Während eines Feueralarms! Endlich Entrüstung! Als ob man es nicht vorher gewusst hätte! Wer sich nun von wem bedroht fühlt und wer für wen eine reale Gefährdung darstellt, das muss jetzt gründlich ausdiskutiert werden. Aber wie soll man eigentlich, nun ja, gewisse Eigenschaften der Vampire ansprechen, ohne die Vertreter dieser Subkultur verbal herabzuwürdigen? Am Ende keimt ein böser Verdacht: Wurde das Projekt „Multikulti“ gar von seinen Gegnern initiiert, damit die selbsterfüllende Prophezeiung, es würde nicht funktionieren, sich bewahrheitet?
Unter der Regie von Richard Fischer und Eva Kreil zeigt die jüngere Besetzung des Schyren-Theaters eine ganz hervorragende Leistung: alle Schüler-Gestalten erhalten von Anfang an ihre unverkennbare Persönlichkeit, und doch agiert die fünfzehnköpfige Truppe kompromisslos als Team. Stellvertretend seien Maja Lauff und Valeria Krammer genannt, die ganz in ihren Rollen als Vampirin Susan und fiese Zicke Finnja aufgehen. Die Moral bleibt dabei immer unaufdringlich. Bei Grundschulkindern funktioniert das Stück als Gruselkomödie, den Größeren ist es eine kluge Parabel auf gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit.
Die etwa hundert Besucher der Premiere wurden köstlich unterhalten.
Bild: Durch einen Körpertausch wollen Ernesto (Jonas Brinkmann, links) und Lukas (Max Orlishausen, horizontal) das Vampir-Mädchen Anni retten.
Mit „Bitte nicht beißen!“ zeigte das Schyren-Theater Menschen und Vampire, die sich an ihren Vorurteilen abarbeiten.
Foto und Text: Roland Scheerer
Das Schyren-Theater verortet den ‚Faust‘ konsequent an der eigenen Schule
‚Die Lehrer respektierten ihn, die Referendare fürchten ihn, die Mitschüler lieben ihn.‘ Die Rede ist von Heinz Fistlinger (Andreas Hagl), jenem unwiderstehlichen Typen aus der Oberstufe, den sie ‚Fist‘ nennen, seit er mit einer bösen Gang (Aurelia Tweer, Valeria Krammer, Jonas Brinkmann) im Bunde ist. Die führt den Problemnerd ins krasse Partyleben ein, damit er im Gegenzug ein Piraten-Funknetzwerk an der Schule installiert.
Die aktuelle Produktion des Schyren-Theaters hatte am Freitagabend vor 150 Zuschauern am Gymnasium Premiere und wurde am Samstag ein zweites Mal aufgeführt. Sie beweist Bemerkenswertes: ‚Faust‘ funktioniert ganz ohne Abrakadabra, Gott und schwarzen Pudel. Die Handlung wurde kurzerhand an die eigene Schule verlegt. Heinz ist ein Streber in allen Fächern, Auszeichnungen bei Schülerwettbewerben hat er abonniert. Er wird aber melacholisch, denn er merkt, dass ‚das Leben an ihm vorüberzieht‘ – daher seine Metamorphose zum Aufreißerkönig. Das unschuldige Gretchen (Lydia Körner) ist sein Opfer. Sie ist eine ganz Fleißige und Brave, die beim Arbeitskreis ‚Mandacaru‘ und in der Schülermitverantwortung mittut, sich für den Schulgottesdienst und gegen Drogen engagiert, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Ihre Frage lautet: ‚Gehst du in Reli oder in Ethik?‘ Denn Gretchen findet: ‚Wenn man schon getauft ist, sollte man auch in Reli gehen.‘
Man muss nicht Himmel und Hölle bemühen, um zu zeigen, wie ein Mensch vernichtet wird; denn Gretchens Untergang ist ein sozialer. Die Gute hat sich sich von Fist breitschlagen lassen, ’spezielle‘ Selfies zu machen, die durch dessen verantwortungslose Naivität im Nu an der ganzen Schule kursieren. So liefert die 25-köpfige Truppe von Richard Fischer nebenbei ein prügelhartes Lehrstück über digitales Mobbing.
Der Inszenierung liegt die kluge ‚Faust‘-Adaption von Bernd K. Jerofke zugrunde, die die mittelalterliche Volkssage mit der Goetheschen Tragödie zusammenführt. Mit großer Akribie, sprühender Fantasie und äußerster Konsequenz wurde dieser Text umgekrempelt und auf das Schyren-Gymnasium selbst bezogen. Das Stück wird also sozusagen am Originalschauplatz aufgeführt, was zu einer Reihe hervorragender Gags führt. Da bewirbt sich der als Fist brillierende Andreas Hagl mit seiner eigenen Zahnarzt-Nummer aus dem ‚Kleinen Horrorladen‘ bei einer gewisse Theatertruppe, die gerade ein Mittelalter-Musical (‚Gisela‘) probt, und Marthes Freund geht ‚auf dem Amerika-Austausch‘ verloren. Schade allenfalls, dass der Einfallsreichtum bei der musikalischen Untermalung endete, denn ‚Another Brick in the Wall‘ und ‚Sympathy for the Devil‘ sind als Soundkonserven arg ausgenudelt; es hätte ruhig etwas Selbstproduziertes – oder doch nicht gar so Naheliegendes sein dürfen.
Nicht nur die zahlreichen Akteure auf der Bühne, sondern auch die vielen Kräfte dahinter haben hervorragende Arbeit geleistet und die Annalen des Schyren-Theaters und eine rundum stimmige und sehr unterhaltsame Aufführung bereichert, die dem fast nur noch ironisch spielbaren Klassiker tatsächlich ganz neue Aspekte abgewonnen hat. Bemerkenswert ist ja auch, dass das Schyren-Theater im letzten Schuljahr mit anderen Darstellern einen ebenfalls sehr gelungenen, aber vergleichsweise konventionellen ‚Faust‘ auf die Bühne gebracht hat und die beiden Produktionen in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander bezogen sind!
BILD: Als dem supercoolem Nerd Fist (Andreas Hagl) klar wird, dass er Gretchen (Lydia Körner) moralisch vernichtet hat, ist alles zu spät. Die zweite ‚Faust‘-Inszenierung des Schyren-Theaters verlegt die Katastrophe mitten ins Schulleben.
Text und Foto: Roland Scheerer