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Theater am SGP

Nerd im Partyrausch

 

von Roland Scheerer

 

Das Schyren-Theater verortet den ‚Faust‘ konsequent an der eigenen Schule

 

‚Die Lehrer respektierten ihn, die Referendare fürchten ihn, die Mitschüler lieben ihn.‘ Die Rede ist von Heinz Fistlinger (Andreas Hagl), jenem unwiderstehlichen Typen aus der Oberstufe, den sie ‚Fist‘ nennen, seit er mit einer bösen Gang (Aurelia Tweer, Valeria Krammer, Jonas Brinkmann) im Bunde ist. Die führt den Problemnerd ins krasse Partyleben ein, damit er im Gegenzug ein Piraten-Funknetzwerk an der Schule installiert.

 

Die aktuelle Produktion des Schyren-Theaters hatte am Freitagabend vor 150 Zuschauern am Gymnasium Premiere und wurde am Samstag ein zweites Mal aufgeführt. Sie beweist Bemerkenswertes: ‚Faust‘ funktioniert ganz ohne Abrakadabra, Gott und schwarzen Pudel. Die Handlung wurde kurzerhand an die eigene Schule verlegt. Heinz ist ein Streber in allen Fächern, Auszeichnungen bei Schülerwettbewerben hat er abonniert. Er wird aber melacholisch, denn er merkt, dass ‚das Leben an ihm vorüberzieht‘ – daher seine Metamorphose zum Aufreißerkönig. Das unschuldige Gretchen (Lydia Körner) ist sein Opfer. Sie ist eine ganz Fleißige und Brave, die beim Arbeitskreis ‚Mandacaru‘ und in der Schülermitverantwortung mittut, sich für den Schulgottesdienst und gegen Drogen engagiert, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Ihre Frage lautet: ‚Gehst du in Reli oder in Ethik?‘ Denn Gretchen findet: ‚Wenn man schon getauft ist, sollte man auch in Reli gehen.‘

 

Man muss nicht Himmel und Hölle bemühen, um zu zeigen, wie ein Mensch vernichtet wird; denn Gretchens Untergang ist ein sozialer. Die Gute hat sich sich von Fist breitschlagen lassen, ’spezielle‘ Selfies zu machen, die durch dessen verantwortungslose Naivität im Nu an der ganzen Schule kursieren. So liefert die 25-köpfige Truppe von Richard Fischer nebenbei ein prügelhartes Lehrstück über digitales Mobbing.

 

Der Inszenierung liegt die kluge ‚Faust‘-Adaption von Bernd K. Jerofke zugrunde, die die mittelalterliche Volkssage mit der Goetheschen Tragödie zusammenführt. Mit großer Akribie, sprühender Fantasie und äußerster Konsequenz wurde dieser Text umgekrempelt und auf das Schyren-Gymnasium selbst bezogen. Das Stück wird also sozusagen am Originalschauplatz aufgeführt, was zu einer Reihe hervorragender Gags führt. Da bewirbt sich der als Fist brillierende Andreas Hagl mit seiner eigenen Zahnarzt-Nummer aus dem ‚Kleinen Horrorladen‘ bei einer gewisse Theatertruppe, die gerade ein Mittelalter-Musical (‚Gisela‘) probt, und Marthes Freund geht ‚auf dem Amerika-Austausch‘ verloren. Schade allenfalls, dass der Einfallsreichtum bei der musikalischen Untermalung endete, denn ‚Another Brick in the Wall‘ und ‚Sympathy for the Devil‘ sind als Soundkonserven arg ausgenudelt; es hätte ruhig etwas Selbstproduziertes – oder doch nicht gar so Naheliegendes sein dürfen.

 

Nicht nur die zahlreichen Akteure auf der Bühne, sondern auch die vielen Kräfte dahinter haben hervorragende Arbeit geleistet und die Annalen des Schyren-Theaters und eine rundum stimmige und sehr unterhaltsame Aufführung bereichert, die dem fast nur noch ironisch spielbaren Klassiker tatsächlich ganz neue Aspekte abgewonnen hat. Bemerkenswert ist ja auch, dass das Schyren-Theater im letzten Schuljahr mit anderen Darstellern einen ebenfalls sehr gelungenen, aber vergleichsweise konventionellen ‚Faust‘ auf die Bühne gebracht hat und die beiden Produktionen in ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander bezogen sind!

 

BILD: Als dem supercoolem Nerd Fist (Andreas Hagl) klar wird, dass er Gretchen (Lydia Körner) moralisch vernichtet hat, ist alles zu spät. Die zweite ‚Faust‘-Inszenierung des Schyren-Theaters verlegt die Katastrophe mitten ins Schulleben. Foto: Roland Scheerer