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Das Schyren-Theater spielte Bertolt Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“

Denk mit: Wem soll das Land gehören?

Das Land soll denen gegeben werden, die es fruchtbar machen, nicht jenen, die sich auf überkommene Privilegien berufen – so die Moral aus Bertolt Brechts Lehrstück ‚Der kaukasische Kreidekreis‘, das am Donnerstag seine gut besuchte Premiere am Schyren-Gymnasium feierte und anderntags noch einmal aufgeführt wurde. Die Leitung hatte Richard Fischer.

Man kann kaum zählen, auf wie vielen Ebenen sich alles abspielt: Da mimen Schüler sich als Schüler, die ein Stück spielen, in dem sozialistische Werktätige ein Stück spielen, in dem es darum geht, wer für ein Kind sorgen soll – die biologische Mutter, die es im Stich gelassen hat, oder dessen Retterin? -, und innerhalb dessen wiederum Kinder dasselbe Stück, in dem sie vorkommen, nachspielen. All das, so will es Brecht, läuft auf die Zerstörung von Illusion hinaus: Sei dir bewusst, was du hier siehst, ist nur Theater und Theater im Theater, lass dich nicht einwickeln, bleibe kritisch. Um das Publikum entsprechend zu fordern, setzt der Meister auf Verfremdungseffekte – ein gefundenes Fressen für das Schultheater, dem es naturgemäß an illusionistischen Mitteln mangelt, woraus man bei Brecht keinen Hehl zu machen braucht; ganz im Gegenteil, die Verfremdung wird genüsslich zelebriert: Es gibt eine bunte Parade dämlicher Kopfbedeckungen; da werden ungeniert erklärende Texttafeln vorbeigetragen, und eine Hütte auf Beinen nähert sich der fliehenden Grusche Vachnadze (Melissa Mehmedovic), womit Bewegung im Raum erfahrbar wird. Bühnenarbeiter, die währenddessen an den Kulissen malen, gehören ebenso dazu wie der Souffleur, der als Dramaturg und Harlekin das Spiel anleitet und erläutert (Jonas Brinkmann). Ob es noch als Brechtscher Verfremdungseffekt durchgeht, wenn die Darsteller beim Bühnenauftritt ihr Smartphone nicht aus der Hosentasche nehmen, sei dahingestellt.

Stellvertretend für die vielen darstellerischen Einzelleistungen seien genannt: Josef Henn als brüllende Witzfigur von einem Unteroffizier, Eva Klostermair als Bäuerin, Hüsseyin Yilmaz als badendem Jussup in seiner türkisen Blechtonne – und natürlich Andreas Hagl als Richter Azdak.

Besonders beeindruckend ist, welche Bühnenpräsenz einige der jüngsten Ensemblemitglieder schon entfalten: Maja Kunz als Wirt oder Emil Schmidt als Mönch. Es ist Richard Fischer gelungen, den Nachwuchs aus der Unterstufe voll einzubinden und damit an der Zukunft der Truppe zu bauen.

Ein bisschen nervig ist die Überdrehtheit im Spiel vieler Darsteller schon. Ist aber gewollt und muss so sein. Episches Theater muss nerven, sonst wäre es keines. Bloß nicht gemütlich zurücklehnen!

Eine zweieinhalbstündige Aufführung mit über fünfzig Mitwirkenden – eine beachtliche Leistung, die Fischer und seiner Truppe da in aufwändiger Probenarbeit bewerkstelligt haben. Es ist ihnen hoch anzurechnen, dass sie den etwas aus der Mode gekommenen Brecht entstaubt haben, nicht zurückscheuen vor einem politischen Diskurs, der weit über den Kontext realsozialistischer Ökonomie hinausreicht. Sie haben ganz genau erkannt, welche Steilvorlagen Brecht gerade dem Schultheater liefert.

Auf dem Bild ist der Triumph der Gerechtigkeit zu sehen: Grusche Vachnadze (Melissa Mehmedovic) beweist durch Loslassen die Liebe zum Kind (Finn Kohlmann), das Natella Abaschwili (Valeria Krammer) an sich reißt. Im Hintergrund Heinz Böhm, Annabelle Schock und Andreas Hagl (von links nach rechts).
Text und Foto: Roland Scheerer